Hormondiagnostik
Für die Beurteilung der Hormonlage und zur Erkennung endokriner Störungen stehen die ausführliche Anamneseerhebung sowie die exakte Hinterfragung des Beschwerdebildes an erster Stelle. Anhand der erhobenen Daten ist zu entscheiden, welche Laborparameter bzw. welches Untersuchungsmaterial am geeignetsten sind. Je nach Fragestellung ermöglich die Analytik im Serum, Saliva oder Urin sehr unterschiedliche Einblicke in die endokrinen Funktionen. Somit steht nicht die „beste labordiagnostische Untersuchungsmethode“ bzw. das beste Untersuchungsmaterial alleine im Vordergrund, sondern vielmehr die klinische Fragstellung, die zwangsläufig zur passenden Auswahl der Analytik führt.
Die endokrinologische Labordiagnostik ergänzt letztlich die anamnestisch erhobenen Daten und präzisiert die Diagnose. Gleichsam dient das Hormonlabor der Therapiekontrolle und ermöglicht, den individuellen Therapie- und Dosierungsbedarf besser einzuschätzen.
Hormonbestimmung im Speichel
Die Hormondiagnostik aus Speichel (Saliva) bietet die Möglichkeit ausschließlich die freien, biologisch aktiven Hormone zu messen. Die Probennahme ist nicht-invasiv, schmerzlos und kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt und an jedem Ort erfolgen.
Nur etwa 1–5 % der gesamten Steroidhormonmenge liegt ungebunden vor.
Die Hormondiagnostik im Speichel ist für die Nebennierenrindenhormone Cortisol und DHEA, ebenso wie für die Sexualhormone Estradiol, Progesteron und Testosteron sinnvoll. Sie wird ebenso zur Kontrolle der Hormonspiegel bei niedrigdosierter, topischer Applikation von bioidentischen Hormonen empfohlen.
Die Speichelanalytik erlaubt keine Aussage über die Gesamtsyntheseleistung der Hormone, den Steroidhormonmetabolismus oder die Konzentration steroidhormonbindender Proteine.
Besonderheiten bei der Interpretation von Hormonkonzentrationen im Speichel
Bei der Interpretation von Hormonen im Speichel gilt zu beachten, dass im Falle erniedrigter Hormonkonzentrationen nicht immer von einer defizitären Hormonsyntheseleistung auszugehen ist. Zunächst weist ein solcher Befund lediglich auf einen Mangel an Wirkhormonen (freien Hormonen) hin. In diesem Fall ist – unter Berücksichtigung der klinischen Symptomatik – mittels Serumkontrolle zu prüfen, ob die Hormonsynthese tatsächlich reduziert ist. Eine weitere Ursache für erniedrigte Spiegel von Speichelhormonen stellen erhöhte Konzentrationen der Transporteine Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) und Corticosteroid-bindendes Protein (CBG) dar. Zur weiteren Abklärung empfiehlt sich daher die ergänzende Untersuchung von SHBG bzw. CBG im Serum.
Hormondiagnostik im Serum/Plasma
Zur Beurteilung vieler endokrinologisch-gynäkologischer Fragestellungen existiert für die Serumanalytik eine Datenlage, die allgemein anerkannt ist und – unter Berücksichtigung der oben genannten Hinweise – eine valide Beurteilung ermöglichen. Etwa 95 bis 99 % der Steroidhormone sind im Serum an die Transportproteine CBG und SHBG sowie an Albumin gebunden. In der Serumanalytik kann – mit Ausnahme von Testosteron – nicht zwischen freien und gebundenen Hormonen unterschieden werden. Somit werden mit dieser Methode überwiegend die biologisch inaktiven Hormone erfasst. Allerdings kann durch Bestimmung der Transportproteine wie SHBG oder CBG der freie Hormonanteil zumindest abgeschätzt werden.
Prozentuale Verteilung gebundener und freier Hormone im Blut
Testosteron (Mann) | 50 % an Albumin |
Testosteron (Frau) | 30 % an Albumin |
Estradiol (Mann) | 78 % an Albumin |
Estradiol (Frau) | 61 % an Albumin |
Cortisol | 6-7 % an Albumin |
Progesteron | hauptsächlich an Albumin gebunden |
DHEA und DHEAS | Der Großteil ist an Albumin gebunden, zu kleinem Anteil an SHBG. |
Hormondiagnostik im Urin
Im Urin lassen sich konjugierte, bioaktive Hormone und entsprechende (konjugierte) Hormonmetaboliten nachweisen, welche auf die Aktivitäten verschiedener Enzyme bzw. Reaktionsgleichgewichte im Hormonsyntheseweg schließen lassen. Die Urinanalytik ermöglicht somit einen Einblick in die Kinetik des Steroidhormonstoffwechsels.
Indikation
Die Hormondiagnostik im Urin dient u. a. der Risikoabschätzung und Präventionsdiagnostik bei postmenopausalen Frauen durch die Bestimmung von kanzerogen wirksamen Estrogenmetaboliten. In Abhängigkeit der individuellen Enzymaktivitäten können die Konzentrationen der verschiedenen Metaboliten variieren, denen jeweils protektive oder aber potenziell mitogene bzw. mutagene Wirkungen zukommen. Ein Screening der Estrogenmetaboliten bildet die Grundlage für geeignete Therapiemaßnahmen zur Modulation der Enzymaktivitäten mit einhergehender Reduzierung des Mammakarzinom-Risikos.
Der richtige Zeitpunkt der Probenentnahme
Bei Frauen mit Amenorrhoe oder in der Postmenopause sowie bei Männern ist eine Probennahme an jedem beliebigen Tag möglich. Bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter (ca. 14. bis zum 45. Lebensjahr) ist – wie oben bereits ausgeführt – zu beachten, dass für eine aussagekräftige Befunderhebung aufgrund der natürlichen Zyklusschwankungen eine mehrmalige Hormonbestimmung über mindestens zwei oder besser drei Zyklen durchzuführen ist.
Für Testosteronbestimmungen bei Frauen gilt eine Probenentnahme in der frühen Follikelreifungsphase als geeignet, da in dieser Phase Schwankungen der Testosteronspiegel am geringsten sind. Im Rahmen der endokrinologischen Basisdiagnostik können in der ersten Zyklushälfte (3. bis 5. Zyklustag*) sowohl Estradiol, Testosteron, LH, FSH, TSH als auch weitere Hormone wie Prolaktin, DHEAS und Androstendion bestimmt werden. Die Bestimmung von Progesteron eignet sich hingegen erst während der Lutealphase (zweite Zyklushälfte), zwischen dem 19. und 22. Zyklustag*. Bei einem unregelmäßigen Zyklus entspricht dies dem Zeitraum von ca. 5-6 Tage vor dem Einsetzen der Menstruation.
* Hinweis: Diese Empfehlungen beziehen sich auf einen 28-Tage-Zyklus.
Einflussfaktoren auf die Steroidhormonspiegel
Liegen die gemessenen Hormonspiegel nicht im Normbereich, so können verschiedene Ursachen in Frage kommen:
- Erkrankungen und Lebensstilfaktoren
- Beeinflussung der Laborergebnisse durch therapeutische Einflüsse:
- Hormonelle Kontrazeptiva
- Transdermale Hormontherapie
- Orale Einnahme von Antibiotika
- Glucocorticoid-Therapie
- Antidepressiva
- Licht (zirkadianer Rhythmus, Jahreszeiten)
- Einfluss von Transportproteinen auf die Konzentration der Steroidhormone
- Albumin bindet unspezifisch alle Arten von Steroidhormonen mit geringer Affinität.
- Das Corticosteroid-bindende Globulin (CBG) bindet spezifisch Glucocorticoide und Progesteron mit hoher Affinität.
- Das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) bindet spezifisch Androgene und Estrogene mit hoher Affinität.