Skip to main content

Cortisol - Das Stresshormon: Bedeutung, Diagnostik und Auswirkungen auf Ihre Gesundheit

Glucocorticoide zählen zu den Corticosteroiden, einer Klasse von Steroidhormonen, die primär in der Nebennierenrinde produziert werden. Glucocorticoide spielen eine zentrale Rolle bei vielen kritischen biologischen Vorgängen wie z. B. Wachstum, Fortpflanzung oder Stoffwechsel sowie bei der Regulation von Immun- und Entzündungsreaktionen. Weiterhin üben sie auch eine wichtige Funktion bei der Aufrechterhaltung der Homöostase des Herz-Kreislauf-Systems und des zentralen Nervensystems aus. Das wichtigste körpereigene Glucocorticoid ist das Cortisol (Hydrocortison), dessen Bildung durch einen sehr empfindlichen Regelkreis gesteuert wird, der als Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(HHN-)Achse (synonym: Cortisol-Achse) bezeichnet wird (Abb. 2). Die physiologische Cortisolproduktion unterliegt einer zirkadianen Rhythmik (Abb. 1). Als Anpassung an die bevorstehende Tagesbelastung kommt es am Morgen zum Zwecke der Bereitstellung von Glukose und Energie zu einer vermehrten Freisetzung des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) aus dem Hypothalamus. Dieses wiederum induziert die Sekretion des Adrenocorticotropen Hormons (ACTH) aus der Hypophyse. ACTH steigert unmittelbar die Cortisolsynthese in der Nebennierenrinde, sodass die Cortisolspiegel morgens nach dem Aufstehen einen Höchstwert erreichen (CAR, Cortisol Awakening Response). Über den Tagesverlauf sinken die Cortisolwerte physiologisch wieder ab und erreichen ein Minimum um Mitternacht.

Wirkungsspektrum von Cortisol im Organismus

Physiologische Wirkung

Unter dem Einfluss von Cortisol wird der Energieumsatz durch die Aktivierung der katecholaminergen Stresshormone erhöht sowie Körpertemperatur und Aufmerksamkeit gesteigert. Außerdem wird die Aufnahme von Glukose in periphere Gewebe gehemmt. Diese Hemmung der Glukoseaufnahme, zusammen mit der Hemmung der Proteinbiosynthese führen zu einem erhöhten Blutzuckerspiegel. Durch Einwirkung auf das kardiovaskuläre System hilft Cortisol den Blutdruck und die Herzleistung bedarfsgerecht zu regulieren. Ebenso nimmt Cortisol Einfluss auf den Schlaf, die Gedächtniskonsolidierung und die Gemütsverfassung sowie die Regulierung des Appetits.

Das Wirkspektrum im Überblick:

  • Hemmung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HHN-Achse)
  • Erhöhung des Energiestoffwechsels und Mobilisierung der Energiereserven
  • Steigerung der Glukoneogenese
  • Erhöhung der Lipolyse
  • Förderung des Proteinabbaus aus Muskulatur, Knochen und Bindegewebe
  • Reduktion der Proteinbiosynthese im lymphatischen Gewebe
  • immunsuppressive Wirkung
  • Kontrolle von Entzündungsreaktionen
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(HHN-)Achse
Abbildung 1: Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-(HHN-)Achse
Cortisol im Tagesverlauf
Abbildung 2: Die physiologische Cortisolausschüttung im Tagesverlauf

Folgen eines gestörten Cortisolhaushaltes

Angesichts der Vielzahl von neuroendokrinen Wechselbeziehungen des Cortisols führt ein Cortisolüberschuss u. a. zu Stoffwechselstörungen mit Übergewicht, viszeraler Fettverteilung und erhöhten Blutfettwerten, zu Diabetes, Immundefekten sowie zu einer verringerten Infekt- und Tumorabwehr. Grund hierfür ist die Hemmung der zellulären Immunantwort bei relativer Stärkung der humoralen Immunantwort. Störungen in der Reaktivität gegenüber endogenen Glucocorticoiden können zu Erkrankungen aus dem depressiven Formenkreis oder zum chronischen Erschöpfungssyndrom führen.

Glucocorticoide wirken über diesen Mechanismus therapeutisch bei entzündlichen Erkrankungen sowie bei Krankheiten mit pathologischer Aktivierung des Immunsystems (Asthma, Atherosklerose, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen) oder bei Autoimmunerkrankungen (Multiple Sklerose, Rheumatoide Arthritis) und werden daher häufig als antisymptomatische Medikation eingesetzt.

Wie Stress die Cortisolspiegel beeinflusst

Unabhängig von dem zirkadianen Rhythmus verursachen körperliche oder psychische Stressreize zu jeder Tageszeit einen erheblichen Anstieg der Cortisolspiegel. In akuten physischen oder emotionalen Stresssituationen kommt es zu einer vermehrten Freisetzung. Bei chronischem oder traumatischem Stress kann auch eine verringerte Cortisolausschüttung die Folge sein.

Akuter Stress

Der Organismus reagiert auf einen Stressreiz mit einer Mobilisierung von Energiereserven, erhöhtem Grundumsatz, einer Beschleunigung des Kreislaufs und der Atmung, einer verbesserten Durchblutung der Muskulatur sowie erhöhter Aufmerksamkeit. Gleichzeitig werden Körperfunktionen gehemmt, die nicht mit Flucht oder Angriff assoziiert sind. Dazu zählen u. a. die Verdauung, das Immunsystem und die Sexualorgane sowie das Schmerzempfinden. Eine Reaktion kann rascher, wenn auch mit größerer Fehlerquote, erfolgen. Dies sind normale physiologische Vorgänge, die bei entsprechender Erholung keine negativen Auswirkungen haben. Krankheitsfördernd werden sie aber dann, wenn Anzahl und Stärke der Stressreize nicht weiterverarbeitet und die physiologischen Kompensationsmechanismen überfordert werden. Die koordinierte Aktivierung von anregenden und dämpfenden Prozessen ist entscheidend für das Gleichgewicht dieser Regelkreise und die schnelle Wiederherstellung des Normalzustandes.

Chronischer Stress

Übersteigen Anzahl, Dauer und Intensität der Stressoren die Kompensationskapazität der Stress-Regelkreise, wird der Organismus in eine Art „Daueralarm-Zustand“ versetzt. Dieser kann die Gesundheit über längere Zeit stark beeinträchtigen. Zudem handelt es sich um einen selbst verstärkenden Prozess: Stress erzeugt Stress. Daraufhin genügen zunehmend kleinere Reize, um eine Stressreaktion auszulösen und diese schließlich chronisch werden zu lassen.

Stressbedingter Hypo- und Hypercortisolismus

Bis vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass stressbedingte Erkrankungen aufgrund der Aktivierung der HHN-Achse ausschließlich mit einem zu hohen Cortisolspiegel (Hypercortisolismus) assoziiert seien. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass auch ein Cortisolmangel (Hypocortisolismus) krankheitsrelevant sein kann (Abb. 3). Bei chronischem oder traumatischem Stress entwickeln nämlich 20-25 % der Betroffenen einen relativen Hypocortisolismus.

Die Ursachen können CRH- oder ACTH-Mangel, Cortisol-Mangel oder eine erhöhte Cortisol-Sensitivität an den Zielzellen sein. Auch das Verhältnis der anderen Neurotransmitter und Hormone zueinander ist bei chronischem Stress gestört. Das Ungleichgewicht im Neurotransmitter-System führt zum Auftreten zahlreicher Gesundheitsstörungen, von denen besonders Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Migräne, Schlafstörungen augenfällig werden. Menschen mit einer geringeren Selbstsicherheit und Tendenz zur Depressivität zeigen eine ausgeprägte, häufig permanente Aktivierung der Cortisol-Achse.

 

Mögliche Auswirkungen von chronischem Stress auf die Aktivität der HHN-Achse
Abbildung 3: Mögliche Auswirkungen von chronischem Stress auf die Aktivität der HHN-Achse

Cortisol und die Immunfunktion

Chronisch erhöhte Cortisolspiegel wirken supprimierend auf das Immunsystem im Bereich der spezifischen und unspezifischen zellulären Abwehr. So hemmt Cortisol die Freisetzung von Arachidonsäure sowie die Bildung von Prostaglandinen und Leukotrienen und blockiert die Synthese von proinflammatorischen Genaktivatoren, wie z. B. NF-κB und die Freisetzung weiterer Entzündungsmediatoren wie Interleukin (IL)-1 und IL-6. Die möglichen Folgen sind eine vermehrte Neigung zu Infekten sowie eine geschwächte frühe Abwehr von Krebszellen.

Cortisol und die Gehirnaktivität

Dauerhaft erhöhte Cortisolspiegel können neurotoxische Effekte im zentralen Nervensystem (ZNS) auslösen, wodurch zerebrale Abbauprozesse gefördert werden. Schon in früheren Studien konnte eine Verbindung zwischen chronischem Stress und dem Risiko für das Auftreten neurodegenerativen Erkrankungen, wie  Morbus Alzheimer gezeigt werden. Hohe Cortisolspiegel scheinen dabei die Degeneration und den Untergang von Neuronen zu fördern. Damit assoziiert ist eine verminderte Gedächtnisfunktion bei sonst gesunden älteren Frauen und Männern. Personen, die großem Stress ausgesetzt waren, wiesen ein doppelt so hohes Risiko für die Entwicklung eines Morbus Alzheimer im Vergleich zu Patienten ohne Stresssituationen auf. Daher ist die Reduzierung hoher stressbedingter Cortisolmengen von entscheidender Bedeutung für die Erholung und Regeneration der Gehirnzellen, was durch körperliche Bewegung, Entspannung und Anspannung im Wechsel, z. B. bei autogenem Training und Denksport erreicht werden kann.

Cortisol und DHEA

Der Gegenspieler des Stresshormons Cortisol ist das Vitalitätshormon DHEA (Dehydroepiandrosteron). Es handelt sich um ein Steroidhormon, welches in der Nebennierenrinde produziert wird und eine maßgebliche Rolle bei der Biosynthese der Sexualhormone spielt. Unter physiologischen Bedingungen erfolgt die Ausschüttung von DHEA und Cortisol synchron – abhängig von der CRH- und ACTH-Sekretion. Mit steigendem Lebensalter wird immer weniger DHEA gebildet, die Cortisolbildung bleibt dagegen konstant. Daher steigt das Cortisol/DHEA-Verhältnis während des Alterungsprozesses signifikant an. Patienten, die im Alter an Demenz erkrankten, wiesen eine signifikant höhere Cortisol/DHEA-Ratio auf als kognitiv nicht beeinträchtigte ältere Vergleichspersonen.

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Ursache vieler altersassoziierter Erkrankungen in einem Absinken des DHEA-Spiegels begründet ist. Aus diesem Grund wird das Verhältnis von Cortisol zu DHEA wird als Maß für den Alterungsprozess angesehen.

Die Einnahme von DHEA-Präparaten scheint die individuelle „Stressresistenz“ zu erhöhen und gegenüber einer ganzen Reihe von alterungsbedingten Erkrankungen zu schützen. So werden beispielsweise erhöhte DHEA-Level mit einer zunehmenden Knochendichte assoziiert. Verringerte DHEA-Spiegel dagegen zeigen sich häufig bei Patienten mit einem gesteigerten Arteriosklerose- und Diabetes Typ 2-Risiko. Des Weiteren besteht eine negative Korrelation zwischen dem DHEA-Spiegel und Markern für chronische Entzündungsgeschehen. Glucocorticoide spielen eine zentrale Rolle bei vielen kritischen biologischen Vorgängen wie z. B. Wachstum, Fortpflanzung oder Stoffwechsel sowie bei der Regulation von Immun- und Entzündungsreaktionen. Weiterhin üben sie auch eine wichtige Funktion bei der Aufrechterhaltung der Homöostase des Herz-Kreislauf-Systems und des zentralen Nervensystems aus.